„Kitastreik“ – Ein kurzer Erklärungsversuch

…oder: 10% mehr Lohn – ist zu kurz gedacht!

Der in den Medien zumeist als „Kitastreik“ bezeichneten Streik im Sozial- und Erziehungsdienst reduziert sich nicht auf die Forderung nach 10 % Lohnerhöhung.

Es geht um mehr! Zum einen natürlich um eine Gehaltserhöhung, wie sie in Tarifverhandlungen regelmäßig gefordert werden muss. Wesentlicher ist aber eine gewünschte Korrektur der seit Jahrzehnten bestehenden unbefriedigenden Eingruppierung im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen.

In den letzten Jahren ist der Anspruch an die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen extrem gewachsen. So geht es in den Kitas nicht um die Aufbewahrung der Kinder während der Arbeitszeit der Eltern. Aufgabe heute ist die gezielte individuelle Förderung von Kindern –auch Kindern mit erhöhtem Integrationsbedarf-, die Hilfestellung zu einem angemessenen Sozialverhalten und die Vorbereitung auf den Eintritt in die Schule (Vorschulangebote). Hier sind die MitarbeiterInnen gefordert in einem hohen fachlichen Standard die Ansprüche der Eltern und der Gesellschaft zu erfüllen. Die Wertschätzung des Arbeitsfeldes und damit auch die finanzielle Wertschätzung hat aber stagniert.

Und über die Arbeitsbedingung ist noch nichts gesagt. Oder möchten Sie im Alter von 62 Jahren auf den Knien über den Fußboden rutschen, das Geschrei von Kindern in den Ohren und versuchen den kleinen Franz davon abzuhalten der kleinen Lea die Holzeisenbahn um die Ohren zu hauen? Aber Vorsicht dabei: wenn Sie Franzens Ausholbewegung mit einem entschlossenen Griff an den Unterarm beenden, passen Sie auf das es keine blauen Flecken gibt. Sonst riskieren Sie eine Anzeige der Eltern wegen Körperverletzung. Gelingt Ihnen das nicht, ist die Anzeige von Leas Eltern sicher. Die werden das blaue Auge ihrer Tochter nicht so einfach hinnehmen.

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Vergleichbar ist es bei den in den Kommunen tätigen SozialarbeiterInnen und Sozialpädagogen. Hier kommt noch hinzu, dass sie persönlich verantwortlich sind für das Wohl der Kinder und Jugendlichen in den betreuten Familien. Persönlich verantwortlich –hier ist das Stichwort „Garantenpflicht“ im Rahmen des Kindesschutzes- bedeutet tatsächlich strafrechtlich verantwortlich zu sein: die Staatsanwaltschaft überprüft ein mögliches Fehlverhalten. Das kann dann zu einer Verurteilung führen –nicht des Arbeitgebers, sondern des/der MitarbeiterIn.

Ein bei einer Kommune beschäftigter Bauingenieur, der einen Fehler verursacht, hat damit nicht zu rechnen. Hier tritt der Arbeitgeber, meist gedeckt durch eine Versicherung, für den Sachschaden ein. Folgen sind im Ausnahmefall höchstens dienstrechtlicher Art.

Sie können sich auch gern mal fragen, warum SozialarbeiterInnen in Jugendämtern die dann gefordert sind, wenn die anderen Professionen (Lehrer, Psychologen, Therapeuten..) nicht mehr weiter wissen, deutlich weniger verdienen als Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Das kenne Sie doch, dass Schüler im Schulalltag so auffällig in Ihrem Verhalten sind, dass die Schule den Eltern sagt: „ihr Kind ist hier nicht mehr tragbar, hier muss das Jugendamt eingeschaltet werden“.

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Womit wir bei einem weiteren Punkt sind: der erwähnte Bauingenieur hat ein Studium absolviert, das mit Diplom oder jetzt Bachelor/Master endet. Exakt wie der Kollege Sozialarbeiter auch. Sieht man sich aber die Stellenausschreibungen der Kommunen an), so stellt man fest, dass der Bauingenieur per se mindestens eine Gehaltsgruppe höher eingestuft wird. Man fragt sich warum.

Und genau darum geht es den MitarbeiterInnen im Sozial- und Erziehungsdienst im Wesentlichen. Um faire Bezahlung und faire Eingruppierung ihres Arbeitsfeldes im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen. Das zu reduzieren auf „die wollen 10% mehr Lohn“ ist zu kurz gedacht.

Jetzt heißt es zunehmend: unter dem Streik müssen die Falschen (die Eltern – die Kinder) leiden. Nun ja, es geht leider nicht anders. Das ist immer so. Streiken Bahn oder Post, trifft es auch den Normalbürger. Verantwortlich sind aber die Arbeitgeber, die aufgefordert sind sich mit den Anliegen der Streikenden ernsthaft und zügig auseinanderzusetzen. Abwarten mit der Bemerkung: das ist nicht finanzierbar, hilft da nicht. Beide Seiten müssen an einen Tisch und vernünftige Lösungen stricken.

Apropos nicht finanzierbar: die pädagogische Arbeit mit Ihrem Kind ist nicht finanzierbar? Die Elbphilharmonie z.B. aber ja? Wie war das nochmal mit dem Stellenwert von Bildung in unserer Gesellschaft?

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